Tag 19: Chassez le Chasseron
- Simon Eberhard
- 22. Juli 2013
- 2 Min. Lesezeit
Eines vorneweg: Dieser Tag 19 war der bislang extremste – in jeder Hinsicht. Bereits im Voraus war er als eine Art Königsetappe ausgelegt, sowohl im Hinblick auf den Anspruch als auch auf die zu erwartenden Highlights: Zuerst rauf zum Felskessel des Creux du Van – der “Grand Canyon der Schweiz” ist wohl DIE Sehenswürdigkeit schlechthin im Jura -, dann die lange Traverse und der Schlussaufstieg zum Chasseron.
Der Tag begann allerdings wenig königlich, und zwar mit einem Neueinsteiger in der Hitparade meiner körperlichen Wehwechen, straight ahead von Null auf Eins: dem linken Fussknöchel. Spürte ich gestern höchstens den Hauch eines Schmerzes, wuchs dieser im Verlaufe der Nacht so sehr an, dass ich morgens beim Aufstehen Bedenken hatte, ob ich’s überhaupt die Hoteltreppe runterschaffe. Der absolute Tiefpunkt! Ich erwog alle Optionen, sogar diejenige, meine Tour abzubrechen. Schliesslich siegte aber der Ehrgeiz, zumal der Knöchelschmerz nach gutem Zureden bzw. Einsalben etwas zurückging.
Mit der “Wut im Bauch” stürmte ich dann richtiggehend zum Creux du Van hinauf, in viel zu raschem Tempo, so dass ich mich oben erstmal erschöpft in die Wiese fallen lassen musste, bevor ich das tatsächlich imposante Naturspektakel geniessen konnte.
Danach folgte ein unendlich langer Marsch durch Alpwiesen, den ich mir noch ein wenig ausdehnte, indem ich die falsche Abzweigung nahm und so rund Dreiviertelstunden verlor. An dieser Stelle noch ein Tipp an alle, die diese Tour vielleicht auch mal machen wollen: Macht sie nie, wirklich nie an einem Montag! Bereits mein Hotel hatte heute geschlossen, weshalb ich mich zum Frühstück aus dem Rucksack ernähren musste. Um so mehr freute ich mich auf was “Richtiges” aus einer Bergbeiz. Pustekuchen! Die beiden Beizen, die ich dafür auserkoren hatte, waren ebenfalls “lundi fermé”. Immerhin war ein Bauer so nett, meine zu Ende gehenden Wasservorräte nachzufüllen.
Mit nichts als Landjägern, Balisto-Stängeln, Nüssen und getrockneten Bananen im Magen quälte ich mich bei Temperaturen über 30 Grad dann endlich an den Fuss des Chasseron. Dieser begrüsste mich mit einem grimmigen Donnergrollen und bedrohlich dunklen Wolken. Aus Angst, ins Gewitter zu geraten, eilte ich dann ein zweites Mal in Rekordtempo den Berg hinauf, bis ich schweissüberströmt in einer Bergbeiz Unterschlupf fand, die diesmal endlich auch geöffnet hatte. Dessen Wirtin war etwas gelassener als ich, was das Gewitter betraf und machte mir Mut, nach einem Eistee dann auch noch die letzten Meter des Gipfelanstiegs in Angriff zu nehmen. Tatsächlich: Das Donnergrollen schwelte ab, das Gewitter zog vorüber, und ich erreichte den Gipfel unbeschadet.
Nun sitze ich im Sechserschlag des Gipfelhotels, den ich für mich allein habe, und fühle mich kaputt, aber euphorisch: Am Morgen dermassen im Seich, dann zwischendurch gelitten und an meine körperlichen Grenzen gestossen, doch ich hab’s geschafft! Und zudem eine grossartige Aussicht von meinem Zimmerfenster.

Morgen werde ich’s definitiv wieder etwas gemütlicher angehen lassen. Übrigens: Den Knöchel spüre ich momentan nicht mehr. Hoffen wir mal, dass der nur ein One Hit Wonder war.
In Kürze:
Ausgangspunkt: Travers
Nächtigungsstation: Chasseron
Zurückgelegte Kilometer heute: ca. 30
Überwundene Höhenmeter heute: ca. 1300
Durchwanderte Kantone: NE, VD
Zustand körperlich: Flasche leer
Zustand emotional: Grossartig

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